Die Anforderungen an die Einrichtungen der Wohlfahrtspflege wachsen weltweit täglich. Klimawandel, Flüchtlingsströme, demographische Entwicklung, Krisen und kriegerische Konflikte, der zunehmend wachsende Bedarf an fachlich versierten Arbeitnehmer*innen im sozialen und medizinischen Bereich stehen dem Rückgang verfügbaren Personals gegenüber. Alles in allem eine Situation, die Innovationen unverzichtbar werden lässt, um den sozialen Anforderungen der Menschen in den Nationen gerecht werden zu können. „Wir sind Anwälte der sozialen Situation“, betonte daher auch Diakonie-Vorstandsmitglied Kay-Gunnar Rohwer bei seiner Begrüßungsansprache zum Symposium „Soziale Innovation in der Wohlfahrtspflege“ am 7. Februar 2023 im großen Veranstaltungssaal des VEK in Rendsburg.

Diakonie-Vorstand Kay-Gunnar Rohwer, Staatssekretärin Julia Carstens und Bernd Hannemann, Diakonie-Stiftungs-Vorstand (von links). Fotos: Nolte

Rund einhundert Gäste waren der Einladung zu diesem Symposium gefolgt; etwa zur Hälfte unmittelbar in Rendsburg anwesend oder aber europaweit Online zugeschaltet. Organisiert wurde diese Veranstaltung, wie vergleichbare Symposien sozialer Themenstellungen im Diakonischen Werk zuvor, wiederum von Bernd Hannemann, Vorstand der Diakonie-Stiftung und Teamleiter Diakonische Entwicklung, Förderung und Ökumene, gemeinsam mit Dr. Grit Kühne, als zuständige Europa-Referentin im Diakonischen Werk Schleswig-Holstein.

Beeindrucken konnte zu Beginn der Veranstaltung gleich Rendsburgs Bürgermeisterin Janet Sönnichsen, die in ihrem Grußwort deutlich machte, von welch hoher Bedeutung ein funktionierendes kommunales, beziehungsweise regionales Sozialsystem sei, und welche wachsenden Herausforderungen daran gestellt werden. „Eine Vielzahl von Problembereichen fordert uns täglich heraus“, so Janet Sönnichsen, „da sei hier beispielhaft nur der Gasmangel, die Flüchtlingsbewegung oder auch die Krise im Ehrenamt genannt.“ Auch sei der Arbeitskräftemangel im sozialen Bereich eine große Herausforderung, so die Bürgermeisterin weiter. Es sei das Gebot der Stunde, den großen Fragen der Bürgerschaft zur Weiterentwicklung der Sozialsysteme nachzugehen und dass man dies auch engagiert tun würde.

Janet Sönnichsen, Bürgermeisterin von Rendsburg.

Den ersten Fachvortrag des Symposiums hielt Dr. Carolin Thiem vom Referat Vorschau, Partizipation und Soziale Innovation vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Sie machte deutlich, dass Innovationen im sozialen Bereich natürlich nicht neu sein würden, sich jetzt aber auch Kriterien, wie beispielsweise der Messbarkeit des Erfolgs, beweisen müssten. Thiem teilte mit, dass es seitens ihres Ministeriums geplant sei, eine Online-Plattform zu schaffen, die dem Coaching von Anbietern sozialer Innovation dienen solle.

Dr. Georg Mildenberger von der Forschungsstelle Centrum für Soziale Investitionen und Innovationen (CSI) der Universität Heidelberg dämpfte in seinem Vortrag jedoch deutlich den aufkeimenden Optimismus bezüglich der Wirkung und ökonomischer Tragfähigkeit sozialer Innovationen. „Das Grundproblem ist“, so Mildenberger, „anfänglich gibt es für Innovationen keinen Markt, mithin also auch keine Gewinne und daher auch kaum Finanzierungsmöglichkeiten.“ Es würde eben nicht funktionieren, wenn es keine nicht-marktorientierten Akteure in der Wohlfahrtspflege geben würde, so Mildenberger weiter.

Aus London hielt den nächsten Vortrag dann Louise Pulford, Vorstand von SIX oder Social innovation exchange. Pulford stellte in der Folge eine Reihe von Sozialprojekten vor, deren Innovationen im wesentlich darin lägen, vernetzt werden zu können, vulgo: Gute Ideen und Projekte werden über SIX weltweit verbreitet und organisiert. Family by family, weavers, good gym, Buurtzorg, ROCS oder auch Cambridge house heißen diese Projekte, die sich überspannend von familiärer Unterstützung über Sport bis hin zu medizinischer Betreuung erstrecken. Louise Pulford betonte insbesondere, dass deren Finanzierung durchgehend eine Herausforderung sei. „Es ist immer eine Mischfinanzierung, die von der EU-Förderung über Stiftungsmittel bis hin zu staatlicher oder privater Förderung reicht“, so die SIX-Chefin.

Louise Pulford folgte als Vortragende dann Grit Kühne vom Diakonischen Werk Schleswig-Holstein. Sie stellte heraus, dass diese Veranstaltung im Rahmen eines größeren europäischen Projektes durchgeführt wurde und somit zum Wissenstransfer im Bereich social innovation und der Motivation zum Lernen von guten Beispielen beitragen soll. Die Diakonie Schleswig-Holstein sei der einzige Wohlfahrtsverband in Deutschland, der in diesem Projektkontext mitwirkt. Grit Kühne berichtete zum bisherigen Verlauf des Projektes NCCSI (national competence center social innovation) und erwähnte weitere  Projekte mit europäischer Komponente wie beispielsweise Kopris, ein neues Projekt, das sich mit der Stärkung  von Kindern strafgefangener Elternteile befassen wird.

Nach der Mittagspause konnte Bernd Hannemann schließlich Staatssekretärin Julia Carstens vom schleswig-holsteinischen Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus begrüßen. Frau Carstens machte vor allem deutlich, dass die Wohlfahrtspflege eine der tragenden Säulen im Sozialstaat sei. „Insbesondere wegen der vielfachen Herausforderungen bedarf es dringend einer Vielzahl von Innovationen und neuer Lösungsansätze“, betonte die Staatsekretärin, die ebenfalls ihren Dank aussprach, dass sich das Diakonische Werk mit diesem Format dieser Themenstellung in besonderem Maß annimmt.

Bernd Hannemann stellte schließlich ein „Flaggschiff“ sozialer Innovation in Schleswig-Holstein vor. Hannemann, Mitbegründer und Vorstand der Diakonie Stiftung Schleswig-Holstein, wies zuerst allgemein auf die querschnittlich schlechte Wohnungssituation in Deutschland hin, die insbesondere auch dazu führen würde, dass es ein Riesenproblem sei, Menschen mit besonderen Ansprüchen oder Bedarfen mit einem Dach über den Kopf zu versorgen. „Rund ein Drittel aller entlassener Strafgefangener geht in die Wohnungslosigkeit“, erläuterte Bernd Hannemann beispielhaft. Es sei kaum Bereitschaft zu erkennen, dass Investoren in diesem Bereich Wohnungsbau finanzieren würden. Die Diakonie Stiftung Schleswig-Holstein habe sich daher entschlossen, gemeinsam im Rahmen kommunaler Unterstützung, eigene Mittel einzusetzen, um den Bau von Wohnungen für Menschen mit besonderen Bedarfen zu organisieren. „Am Beispiel des bereits weit vorangeschrittenen Projektes in Schleswig, dort werden 15 barrierearme beziehungsweise -freie Wohnungen nach dem „housing first“-Konzept errichtet.“, so der Stiftungsvorstand weiter. Weitere Wohnungsbauprojekte in anderen Städten seien geplant und würden ebenfalls mit Unterstützung der Stiftung organisiert.

Silke Kuleisa und Ingo Kruse von der NGD-Gruppe (Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie) erläuterten schließlich, wie die NGD soziale Innovation künftig institutionalisiert organisieren will. „Wir haben ein Innovationslabor in Rendsburg gegründet, dass als Zentrum dazu dienen soll, unsere verschiedenen sozialen Geschäftsbereiche weiterzuentwickeln.“

Podiumsdiskussion

An der abschließenden Podiumsdiskussion nahmen neben den Vortragenden Carolin Thiem und Georg Mildenberger, auch Markus Freiburg von der Finanzierungsagentur für social Entrepreneurship, Katja Gast und Andreas Bartels vom Bundesverband der Diakonie, sowie Norbert Kunz von social impact teil. Als Fazit der Diskussion kann gelten, dass es unabdingbar ist, angesichts vielfältiger Herausforderungen proaktive Lösungen anzustreben und strategisch vorauszuplanen. Bernd Hannemann betonte seinerseits schließlich, dass sich die Wohlfahrtspflege eigentlich permanent in einem Prozess der Entwicklung und Orientierung befindet. Soziale Innovation muss dabei unverzichtbarer Bestandteil unseres Handelns sein, ganz im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung der Lebenslagen von Menschen. In seinem Abschlusswort betonte er, dass es richtig gewesen sei, dieses Symposium zu organisieren, denn wir können und müssen alle voneinander lernen. „Ich freue mich schon auf den kommenden workshop zu dieser Themenstellung am 28. Februar“ und alle sien herzlich eingeladen, stellte Bernd Hannemann abschließend fest. whe