Gulhat (28) und Sosan (23) reisen und arbeiten in Australien. Fotos: Henze

Gulhat (28) und Sosan (23) werden in Australien reisen und arbeiten. Fotos: Henze

Kiel/Sydney – In nur wenigen Wochen steht den Schwestern Gulhat (28) und Sosan (23) eine wirkliche Herausforderung ins Haus. Die beiden jungen Frauen aus Kiel und Schleswig starten dann am Airport in Frankfurt ein mindestens einjähriges „Work and Travel“-Abenteuer, fliegen über Delhi nach Sydney. Australien wollen die Beiden erleben, Menschen kennenlernen, dort arbeiten und den Kontinent „Down Under“ ausgiebig bereisen. Die Schleswiger Heinz-Wüstenberg-Stiftung fördert das Projekt.

 

Erste Kontakte sind hergestellt

Die ersten Kontakte Richtung Australien haben sie bereits hergestellt. Nach der Ankunft in Sydney kommen sie bei einem „virtuellen“ Bekannten unter, der die Mädels möglicherweise auch gleich in Sachen Job unterstützen kann. Gulhat, die ältere der Beiden, ist weltweit längst gut vernetzt. Und zwar Online, über Foren und Gruppen in sozialen Netzwerken, die vor allen von gehörlosen Menschen genutzt werden. Gulhat ist seit ihrer Geburt gehörlos und trotz dieser physischen Einschränkung von ausgesprochen fröhlichem und extrovertierten Kommunikationsverhalten. Im Gespräch mit dem Autor muss dazu die jüngere Schwester die Vermittlung übernehmen, die Gulhats schnelle und exakte Gebärdensprache übersetzt.

1997 erst sind die beiden jungen Frauen als Flüchtlinge mit ihrer Familie nach Norddeutschland gekommen. Sie sind Kurden, stammen aus dem kleinen syrischen Ort Tuluku, im Grenzgebiet zur Türkei. Sie sind Jesiden, die für die Terrorbanden des Islamischen Staates als „Gottlose“ gelten, Jesiden werden vom IS verfolgt, versklavt und getötet. In den letzten dreißig Jahren haben die Jesiden aber bereits aufgrund des türkisch-kurdischen Konflikts in großen Auswanderungswellen ihre ursprüngliche Heimat verlassen müssen.

Auswanderung war mehr als der Verlust von Heimat

Für Gulhat und Sosan war die Auswanderung nach Deutschland aber weit mehr als der Verlust von Heimat. Es war vor allem das Eintauchen in eine völlig neue Lebens- und Gesellschaftsordnung, die letztlich Beide in ernsthafte Konflikte mit ihren in traditionellen Werten verhafteten Eltern brachte. Dies endete für Beide schließlich in der Trennung von der Familie, was sie bereits in jungen Jahren ausgesprochen selbständig werden ließ und erst nach Jahren wieder zu einer familiären Annäherung führte. Das angestrebte Work and Travel-Projekt kann gut als Beleg für das Selbstbewusstsein der Schwestern gelten.

 

Erfolgreich in Schule, Beruf und sozialem Engagement

Sosan bei der Debattiermeisterschaft in Schleswig.

Sosan bei der Debattiermeisterschaft in Schleswig.

Gulhat hat nach erfolgreichem Schulabschluss in Husum eine Ausbildung zur Malerin absolviert, zuvor ein Berufsvorbereitungsjahr abgeleistet und den Führerschein gemacht. Überaus erfolgreich ist sie auch als Fußballspielerin, gehört sogar dem Team der deutschen Gehörlosen-Frauenmannschaft an. Ihr Reiselust, so erzählt sie, stamme vor allem aus der Unfähigkeit 14 Jahre lang Deutschland verlassen zu können, da ihr Aufenthaltsstatus ungeklärt war und sie über keine Personalpapiere verfügte. Die Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit war für sie daher vor allem das „Ticket“ reisen zu dürfen. Jeden verdienten Cent legt sie dafür zurück, war für Monate in Indien („Ganz toll, eine komplett andere Welt“), hat mit dem Motorrad Panama, Costa Rica und Nicaragua bereist, war mehrere Monate in Mexiko, später in San Francisco und Los Angeles, dann in Las Vegas („Da muss ich nie wieder hin.“) und schließlich auch eine Woche lang an der Gehörlosen-Universität in Washington D. C. In Deutschland engagiert sich Gulhat nicht nur im Frauenfußball, sondern vor allem auch in der Flüchtlings- und Gehörlosenhilfe.

Sosan, die jüngere der Beiden, hat noch lange nicht so viel wie ihre Schwester von der weiten Welt gesehen, und ist folgerichtig auch deutlich aufgeregter in Bezug auf das „Work and Travel“-Abenteuer. Sosan hat die Fachhochschulreife in Schleswig erworben, ein freiwilliges soziales Jahr an der Grundschule St. Jürgen absolviert, war bei der Debattiermeisterschaft der Schleswiger Gymnasien erfolgreich, engagiert sich ehrenamtlich im Kreisjugendring Schleswig-Flensburg und war beispielsweise auch als Betreuerin in einem interkulturellen Zeltlager tätig. Und nun soll es ein Stück große weite Welt werden, bevor sie später das angestrebte Studium zur Gebärdendolmetscherin antreten wird.

 

Stifter Holger Wüstenberg whe_bearbeitet-1

Stiftungsvorstand Holger Wüstenberg unterstützt das Work and Travel-Vorhaben.

Am 22. Februar geht´s los

Am 22. Februar geht es los für die Beiden, „Work and Travel“ in Australien, wobei, so Sosan, vor allem „Work“ schnell funktionieren sollte. „Sydney ist teuer und reich sind wir nicht,“ erklärt sie lachend. Gespart haben die Beiden was sie konnten, zusätzliche Unterstützung für ihr Vorhaben erhält Sosan von der Heinz-Wüstenberg-Stiftung. Stiftungs-Vorstandsmitglied Holger Wüstenberg, Geschäftsführender Gesellschafter der Börmer Landtechnik-Gruppe Wüstenberg, hat zur Förderung des Vorhabens zusätzliches Geld in einfließen lassen. „Die Mittel der Stiftung waren für das laufende Jahr bereits ausgeplant“, erklärt deren Geschäftsführer Jörg Peters. Sosan und Gulhat sind dankbar dafür und alle Beteiligten sind überzeugt, dass die beiden jungen Frauen einen erheblichen Erfahrungsgewinn aus ihrem Vorhaben ziehen werden. „Und Reisen“, erklärt Gulhat, „ist ohnehin immer toll.“  Wolfgang Henze